Ich habe schon einige Jahre auf dem Buckel (naja, Buckel habe ich ja keinen, aber ihr wisst schon, was ich meine). Dass ich nicht mehr der Jüngste bin, sieht jeder.
Und was ich so alles erlebt habe – da könnte ich erzählen, erzählen, erzählen…
Eine Geschichte fällt mir dabei gleich ein. Ich bin nämlich ein Hotel. Oder besser gesagt, ich war mal eins. Die vielen Jahre machten mich knorrig und die vermieteten Zimmer sind verfallen oder leer. Wer will denn noch in einem Altbau wohnen?
In meinen Glanzzeiten war ich ein gesunder Bursche. Im Sommer hingen meine Äste voll roten Kirschen. Viele Vögel besuchten mich und zwitscherten fröhlich ihre Melodien und naschten natürlich auch von meinen Früchten. Zwischen meinen Blättern suchten sie schattige Stellen auf und waren zufriedene Gäste.
Ich erinnere mich, als sich Herr Specht – ein fleißiger Zimmermann – in meinem Stamm häuslich einrichtete. Meine zwitschernden Gäste im Geäst waren von dem starken Klopfen genervt, aber was sollten sie machen?
Immer wieder fand Herr Specht hinter meiner Rinde etwas zu futtern, doch gleich ging's weiter mit der Arbeit. Wenn man sich häuslich einrichtet, gibt man sein Bestes. Bald darauf zog die Familie Specht ein und bald schon schlüpften die Jungen.
Im nächsten Jahr kam dann eine weitere Spechtfamilie hinzu, die sich daneben ebenfalls häuslich einrichtete.
Es war lustig, zuzusehen, wenn die Eltern der Jungen fleißig Futter für sie holten. Das war harte Arbeit. Dabei sperrten die Jungen ihre Schnäbel auf, soweit es ging.
Nun stehe ich hier und denke an die besseren Zeiten zurück. Viel ist nicht von mir übriggeblieben, auch die beiden Specht-Wohnungen sind schon lange leer. Schatten kann ich auch nicht mehr spenden und nur selten bekomme ich Besuch.
© Traudi
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Brigitte (Mittwoch, 19 September 2018 11:36)
Liebe Traudi, herzliche Grüße.
Es sieht aus, als würde der Baum am Rande der Waldwiese stehen und seine Kumpels sind schon vor einigen Jahren ins Sägewerk eingezogen. Jetzt steht er abseits der Baumgruppe, auf der anderen Seite und denkt an die Zeit zurück, wo er noch frisch im Saft und Blätterwerk stand und den Jahreszeiten strotzen konnte und all den Waldbewohnern Schutz gab. Nun muß er sich bemühen, trotz seines fortschreitenden Alters, so gut es geht, fest mit den Wurzeln im Waldboden aufrecht zu stehen. Er würde sich gern mit seinen Kumpels auf der anderen Seite unterhalten, aber die Entfernung ist zu groß. Der knorrige Alte fühlt sich leider an dieser Stelle sehr einsam. Sein Geäst spendet ihm tröstende Worte und die Baumgruppe gegenüber winkt ihm zu, doch es wird ihm nicht mehr warm ums Herz.
So steht der alte Baum da und hofft auf ein Wunder.
Alles Gute, tschüssi Brigitte.
Klaus-Dieter (Mittwoch, 19 September 2018 12:36)
Liebe Traudi, das hast du so wunderschön beschrieben, beste Grüße von mir zu dir.
Brigitte (Mittwoch, 19 September 2018 23:20)
Versunken mittags in Gedanken, wird der alte, knorrige Baum an seiner Borke von einem weichen Fell berührt. Er neigt seine Krone im leichten Sommerwind und erblickt ein junges Rehlein. Aus der Ferne kommt noch ein Igel angelaufen.
Das Rehlein sprach mit hellem Stimmchen zu dem Baum ,du bist der Baum, wo sich Mama und Papa immer trafen, das erzählten sie mir. Du hattest Papa immer zugeschaut und angefeuert, als er meine Mama vor dem Rivalen beschützte., damit er sie nicht in seinen Harem bekommt.
Nun ist auch der Igel beim alten Baum angekommen und hält inne, um zu rasten.
Der Baum fragt ihn, warum er denn hier nach so vielen Jahren wieder vorbei wandert, da antwortete der Igel, ich war das nicht. Dich besuchte einige Jahre meine Oma, die sich auf der abgewandten Baumstammwetterseite immer eine Laubhöhle baute und du ihr sicheren Schutz vor Kälte und Nässe gegeben hattest.
Das Rehlein sprang nach einer Weile weiter und der Igel leistete dem alten Baum noch Gesellschaft, bis es fast finster wurde. Dann suchte sich der Igel einen Schlafplatz in der Nähe des Baumes, wo er unter einen Reisighaufen kroch..
So hatte der alte, knorrige Baum noch einmal eine nette, tierische Bekanntschaft gemacht, die ihn so richtig aufleben ließ.
Vielleicht finden sich mal wieder Waldbewohner bei ihm ein, um mit ihm zu plaudern.
Brigitte (Mittwoch, 19 September 2018 23:37)
Liebe Traudi, ich habe die Baumgeschichte weitererzählt. Vielleicht gibt es noch eine Fortsetzung von anderen Bloggern.
So eine Erzählweise hatte mir schon mal vor ca 10 Jahren Spaß gemacht.
Viele Blogger knüpften immer an die von jemanden zuletzt geschriebene Geschichte an und so entstand fortlaufend gelesen, eine tolle Erzählung.
Liebe Grüße von Brigitte, die sich freut, daß Dir meine Baum-Fantasie gefällt und Ich hoffe, auch die zweite.
Morgentau (Freitag, 21 September 2018 07:29)
... ein Lost Place :-)
Klaus-Dieter (Freitag, 21 September 2018 12:25)
passe auf dich auf, es wird stürmisch, freu mich, wenn es dir gut geht.
Klaus-Dieter (Sonntag, 23 September 2018 12:37)
was ich dir sagen wollte:"Entspannung tut der Seele gut".
Traude Rostrose (Mittwoch, 06 Mai 2020 18:39)
Liebe Traudi,
ich habe mir jetzt diese Baumgeschichte zu Gemüte geführt. Der Baum hat den Vögeln einst viel wichtiges gegeben - aber ich denke, er ist auch heute noch Unterschlupf für kleine Lebewesen ...
und in jedem Fall ist er für Geschichten gut! :-)
Herzliche rostrosige Mittwochsgrüße und alles Liebe,
die Traude
https://rostrose.blogspot.com/2020/05/ein-garten-viele-projekte.html